Würzburg (POW) Am 28. November 1802 erklärte Würzburgs Fürstbischof Georg Karl von Fechenbach seine weltliche Herrschaft für beendet und entließ seine Untertanen aus dem Treueeid. Im Gespräch mit dem Pressedienst des Bischöflichen Ordinariats Würzburg (POW) spricht Wolfgang Weiß, Professor für Fränkische Kirchengeschichte an der Universität Würzburg, über die kurz- und langfristigen Folgen dieses Ereignisses für das ehemalige Hochstift Würzburg und Herzogtum Franken.
POW: Am 29. November sind es 200 Jahre, dass der bayerische Kurfürst Max IV. Josef – der spätere Konig Max I. – die Regierungsgewalt in Würzburg übernahm. Wieso fand dieser Akt schon vor dem Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 statt?
Weiß: Das war in fast allen Hochstiften so, weil schon im Oktober 1802 die Reichsdeputation in Regensburg den Beschluss über den Zeitpunkt der Zivilbesitzergreifung, also den formellen Übergang der Hochstifte an die neuen Landesherrn, gefasst hatte. Darin war der 1. Dezember 1802 als Termin festgelegt. Es war sogar gestattet, sie schon acht Tage vorher durchzuführen. Somit war für Bayern die Herrschaftergreifung zu diesem Zeitpunkt rechtlich abgesichert, auch wenn der Reichsdeputationshauptschluss – dieses eigenartige Wort, das aus den Geschichtsbüchern bekannt ist – und auch seine Ratifikation als Reichsgrundgesetz noch fehlte. Zwar ist in der Literatur immer zu lesen, dass die neuen Landesherren in Würzburg vorzeitig zur Tat geschritten seien. Zum damaligen Zeitpunkt wurde das Vorgehen der bayerischen Regierung als korrekt empfunden.
POW: Was waren für Würzburg die einschneidendsten Folgen dieser Aktion?
Weiß: Für die Stadt Würzburg selber sicher der Verlust der Residenzstadtfunktion. Und damit ging auch viel verloren, was zum Hof gehört und von den Aufträgen des Hofes lebte. Dies war sicher ein wirtschaftlicher Schaden für die Stadt. Würzburg war jetzt nur noch Provinzhauptstadt. Die frühere Ausstrahlung verblasste. Dies war sicher zusammen mit der Trennung der weltlichen und geistlichen Gewalt der unmittelbar größte Einschnitt. Langfristig gab es natürlich auch Änderungen durch die Politik, die die bayerischen Herrn dann ergriffen.
POW: Von welchen Änderungen sprechen Sie?
Weiß: Es kam zu einer kirchenkritischen Politik. Vor allem auf das kirchliche Brauchtum – heute oft als volksfommes Brauchtum bezeichnet – hatten es die neuen Herren abgesehen. Darauf reagierte die Bevölkerung sehr empfindlich. Von Seiten des Staates wollte man in Bewusstsein der eigenen Kultur- und Kirchenhoheit überall hinein regieren. So wurde versucht, Einfluss auf das Priesterseminar zu nehmen. Auch die Theologische Fakultät wurde umgestaltet – und zwar zu einer interkonfessionellen Sektion zur Heranbildung des religiösen Volkslehrers; diese wurde mit evangelischen und katholischen Professoren besetzt. Das behagte der Würzburger Bistumsleitung überhaupt nicht. Den Alumnen des Priesterseminars wurde der Besuch der Vorlesungen evangelischer Professoren verboten.
POW: Welche kirchlichen Volksbräuche wurden denn beschnitten oder gar ganz verboten?
Weiß: Die Wallfahrten und Prozessionen wurden eingeschränkt, in Dauer und Anzahl reduziert. Die Begründung: Die Menschen sollten nicht zu lange von der Arbeit weg bleiben. Das aufgeklärte Nützlichkeitsdenken trat hier hervor. Gewisse Formen der Schaufrömmigkeit wurden nicht mehr akzeptiert. So tat die Regierung unter anderem die heiligen Gräber oder Krippen als religiöse Phänomene einer vergangenen und überholten Epoche ab. Diese Ansicht teilten durchaus sehr viele Geistliche. Und dann wurde auch die Feier der Christmette um Mitternacht verboten. Weil die Leute sich aber dagegen verwehrten, musste der Staat an dieser Stelle später wieder nachgeben.
POW: War die Christmette der einzige Punkt, an dem die Masse aufbegehrte?
Weiß: Das Volk akzeptierte vieles nicht, vor allem die sehr extreme Trauerverordnung: Plötzlich durften die Angehörigen bei der Beerdigung nicht mehr bis ans Grab gehen. Auf den Friedhof durften nur noch der Geistliche mit den Ministranten, die Totengräber und Träger. Das Volk wollte sich das nicht gefallen lassen. Wir wissen aus Karlstadt am Main, dass es hier offene Proteste gab. Die Verordnung ging ja sogar soweit, dass man nicht einmal mehr ein Kreuz auf dem Grabhügel aufrichten durfte. Nach dem Geist der Aufklärung sollte man auf Begräbnis- und Totenbrauchtum keinen Wert legen. Es nützte ja keinem, weswegen auch nicht zu viel dafür investiert werden solle. Ähnliche Bestrebungen gab es schon vorher in Österreich unter Kaiser Josef II. Berühmt ist der Wechselsarg, der seinerzeit zum Einsatz kam.
POW: Gibt es noch weitere aus heutiger Sicht skurrile Ereignisse in Zusammenhang mit der Säkularisierung?
Weiß: Im Markuskloster in der Würzburger Pleich wurden die Reliquien des heiligen Adrianus aus ihrer bisherigen Fassung geholt. Die Edelsteine und die anderen materiell wertvollen Bestandteile wurden zu Geld gemacht, die Gebeine beerdigt. Die Gläubigen haben aber kurzerhand in der Pfarrkirche Sankt Gertraud einen neuen Reliquienschrein errichtet und sich ihren Adrianus wieder geholt. Auch die Kreuzbergwallfahrt wurde verboten. Aber die Würzburger haben so lange dafür gekämpft, bis sie die Kreuzbergwallfahrt wieder durchführen konnten.
POW: Welche positiven Auswirkungen von der Säkularisation gibt es denn heute noch, 200 Jahre später?
Weiß: Wenn man das als positiv bezeichnen mag: eine materielle Wirkung. Der Staat ist heute noch verpflichtet, Bischöfe und Domkapitulare zu bezahlen. Ursprünglich war im bayerischen Konkordat aus dem Jahr 1817 vorgesehen, die Bischofssitze und die Domkapitel neu mit Gütern auszustatten, von deren Erträgen sie hätten leben können.
POW: Was haben die Ereignisse für die Kirche Positives gebracht?
Weiß: Die stark religionskritischen Positionen der Säkularisationszeit haben im Volk zu einer Widerstandshaltung geführt, die eine innere Stärkung des Katholizismus bewirkte. So entstand der Volkskatholizismus des 19. Jahrhunderts, für den eine Allianz zwischen kirchlicher Hierarchie – zumal es nun bürgerliche Bischöfe gab – und gläubiger Bevölkerung bestimmend war. Das war die Wiege des Verbands- und Vereinskatholizismus und die Wurzel des politischen Katholizismus. Die Reformen der Säkularisierungsära waren dadurch gekennzeichnet, dass der Staat die Kirche an enge Zügel nehmen wollte. Die Gläubigen dagegen haben danach gestrebt, die Kirche wieder vom Staat zu emanzipieren. In einer Phase sukzessiver Entwicklung zur Demokratie hat das Volk dieses Anliegen auch in den Wahlen unterstrichen. Da wurde schnell deutlich, dass keine liberale Politik gewünscht war, sondern eine ultramontane, katholische. Diese Wirkung wurde aus kirchengeschichtlicher Sicht lange positiv gewertet. Heute ist das Urteil hier wieder skeptischer, da auf diesem Weg auch das Erbe der katholischen Aufklärung verdrängt wurde.
POW: Es wurde in dieser Zeit aber auch viel Wertvolles zerstört.
Weiß: Langfristig negativ muss an der Säkularisation in erster Linie der Verlust der Klöster und vieler Kunstschätze gesehen werden. Denken Sie nur an die Klosterkirchen wie Münsterschwarzach, Heidenfeld am Main oder Theres am Main, die abgerissen wurden oder verfielen. Die Klöster wurde damals einfach versteigert. Die Mönche wurden in die Pension geschickt, als Abfindung bekamen sie die im Reichsdeputationshauptschluss festgelegte Summe von 400 bis 600 Gulden. Sehr viele Mönche sind in die Pfarrseelsorge gegangen. Weil die Klosterkirchen keine pfarrlichen Zwecke erfüllten und die Klostergebäude verwendungslos waren, wurden sie als überflüssig betrachtet und gingen dann in weltliche Hände über. Die neuen Eigentümer hatten kein Interesse an Kirchenbauten. In Münsterschwarzach war dann noch die Tragik, dass ein Blitzschlag die Kirche zerstörte. Die Ruine nutzten die Bauern als Steinbruch für Baumaterial.
POW: Was passierte mit den Kunstschätzen?
Weiß: Viele sind verloren gegangen. Ein Teil – vor allem auserlesen Stücke – wurde von den bayerischen Behörden nach München gebracht. Besonders umstritten ist heute noch das fränkische Herzogsschwert. Es war im Besitz der Würzburger Bischöfe, von denen es mit der Säkularisation an den Kurfürsten und späteren König von Bayern überging. Heute sagen viele, dass ein geschichtlich so bedeutendes Objekt nach Franken und nicht nach München gehöre. Es gibt auch viele Gemälde, die nach München gebracht wurden. Immer wieder werden Versuche unternommen, diese Kunstschätze nach Franken zurück zu holen. Vor wenigen Jahren ist es dem Kunstreferat der Diözese gelungen, ein Altarbild des Niederländers Oswald Onghers nach Tückelhausen zurück zu erhalten, zumindest als Dauerleihgabe.
POW: Die Klöster waren nicht nur Zentren der Kunst.
Weiß: Das problematische ist auch, dass das flache Land seine Bildungszentren verlor. Praktisch jedes Kloster unterhielt seine Lateinschule. Auch die Bibliotheken verschwanden, das Land, man verzeihe mir den Begriff, verbauerte dadurch wieder. Das war ein Rückschritt gegenüber dem 18. Jahrhundert. Man hat lange davon gesprochen, dass es so etwas wie ein katholisches Bildungsdefizit gibt, vor allem im Vergleich mit den evangelischen Gebieten Deutschlands. Eine Ursache ist sicher, dass die alten Bildungsträger nicht mehr existierten und dadurch vielerorts die Möglichkeit einer höheren Schulbildung verloren ging. Gut, man versuchte das etwas zu kompensieren, indem man zum Beispiel in Würzburg das Kilianeum einrichtete. Ziel war, dass die Landbevölkerung günstig, im Idealfall umsonst, das Gymnasium in Würzburg besuchen konnte. Das Angebot war selbstverständlich ausgewählten Begabten vorenthalten, bei denen der Pfarrer sah, dass sich die Förderung lohnt.
POW: Wie erklären Sie sich, dass die Bevölkerung die Säkularisation des Fürstbistums und der Klöster so friedlich über sich ergehen ließ?
Weiß: Die Identifizierung mit einem geistlichen Fürsten war vor allem nach der zunehmenden Kritik an den geistlichen Staaten und den Revolutionskriegen nicht mehr so ausgeprägt. Und auch die Sympathien für die relativ herrschaftlich ausgerichteten Prälatenklöster waren nicht mehr die größten. Widerstand wurde erst dann spürbar, als es sozusagen an die eigene religiöse Beheimatung ging.
POW: Welche Motivation liegt dem zugrunde?
Weiß: Die Menschen hatten des Gefühl, dass ihnen die Glaubens- und Religiositätsformen weg genommen werden sollten, mit denen sie aufgewachsen waren. Diese aber bildeten ein Stück persönlicher Stabilität. Da reagieren die Menschen besonders sensibel, wenn so etwas in einer vielleicht überheblichen und besserwisserischen Art nicht mehr ernst genommen wird. Ähnliche Prozesse hat es in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gegeben, als es um Purifikationen von Kirchen ging oder als etwas sehr liturgisch bewegte Priester, die nicht sehr sensibel mit der Volksfrömmigkeit umgehen konnten, manche religiösen Traditionen vor Ort abschafften. Der Widerstand regte sich dann oft vital.
POW: Im weltlichen Bereich waren die Unterfranken aber recht zahm.
Weiß: Die bürgerlich aufgeklärte Schicht hat durchaus Chancen gesehen, sich in dem neuen Staat wirtschaftlich besser entwickeln zu können. Aber auch diese Kreise wurden enttäuscht, da die Bürokratie der neuen Herren doch sehr rigide vorging und damit auch Leute verprellte, die durchaus grundsätzlich dieser Modernisierung des Staates mit Sympathien gegenüber standen. 1806 kam Würzburg dann an den Großherzog Ferdinand von Toskana. Die Menschen freuten sich. „Schlechter kann’s eigentlich nicht werden“, war die allgemeine Meinung. Nach den zahlreichen Verordnungen, die in alle möglichen Lebensbereiche eingriffen und die Menschen – wenngleich sie teilweise vernünftig waren – überforderten, wollten es die Würzburger wieder ruhig und moderat haben. Da kam der eher konservative Ferdinand von Toskana gerade recht. Der Mob hat sogar, so wird berichtet, die bayerischen Wappen runtergeschlagen und mit Kot beschmiert, was aber Fürstbischof Georg Karl von Fechenbach – er hat den Titel Fürstbischof auch nach der Säkularisation für seine Person noch behalten dürfen – dann aber wieder zu weit ging. In jedem Falle waren die Würzburger und vor allem die Würzburger Kirchenleitung insgesamt sehr froh, dass dieser Regierungswechsel kam. Weihbischof Gregor Zirkel hatte sich in der bayerischen Zeit gegen die Eingriffe in die Kirche gewehrt und erreichte nun mit dem neuen kirchenfreundlicheren Landesherren eine fruchtbare Kooperation von Staat und Kirche. Doch mit dem Ende des Großherzogtums Würzburg im Jahr 1814 ging auch dieses Kapitel zu Ende.
(4602/1473)
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