Von einem gelungenen Theaterstück erwartet der Zuschauer ein dramatisches Geschehen, eine ansprechende Inszenierung und ein gutes Gefühl auf dem Weg nach Hause. Doch wenn die Geschichte nicht erfunden ist, sondern die Akteure auf der Bühne ihr eigenes Schicksal vorführen, wird man unversehens Teil eines fremden Lebens, das einen noch lange begleitet. „Traum vom Leben“ heißt das Stück, das die Theatergruppe „Die Vögel“ aus der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber Würzburg in Zusammenarbeit mit dem Mainfranken Theater gemeinsam erarbeitet hat. Das erfolgreiche Projekt wurde nun auch in der KHG Würzburg gezeigt.
Ruhig und lässig sitzen die Akteure vor der Bühne. Erst als einige von ihnen ins Rampenlicht treten, wird klar, dass sie mehr sind als normale Zuschauer. In Alltagskleidung und ohne Requisiten werden sie an diesem Abend die Hauptrollen einer szenischen Kollage spielen. Der Weg dieser jungen Leute vor einen vollen Theatersaal in Würzburg war sehr weit. Sie stammen aus Afghanistan, Äthopien, Iran und dem Irak und sind nicht ganz freiwillig hier. Hinter ihnen liegen Schicksale von denen die Zuschauer bald mehr erfahren werden. Als Vertriebene aus ihrer Heimat sind sie nach Deutschland gekommen, um Verfolgung und Terror zu entkommen. Ihr nacktes Leben konnten sie retten. Wie es für sie weitergeht, bleibt ungewiss. Zur Zeit leben sie in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Dort sind sie isoliert vom Leben in der Stadt und haben so gut wie keine Kontakte. „Wir sind teilweise aus Gefängnissen gekommen und heute wohnen wir mehr oder weniger wieder in einem“, so schätzen sie ihre Lage zum Teil ein.
Das Engagement des Asyl-AKs der KHG bedeutet deshalb für die Betroffenen einen kleinen Hoffnungsschimmer. Teil der Bemühung zur Integration ist das Theaterprojekt „Die Vögel“. Hier erhalten die Flüchtlinge eine Chance, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen und ihre Stimme wird gehört. Dass so etwas überhaupt funktionieren kann, verdanken die Akteure der Zusammenarbeit mit dem Würzburger Mainfranken-Theater.
Das Ergebnis ist ein überraschender Theaterabend. In einer Szenenfolge aus 15 verschiedenen Bildern werden Momente und Erlebnisse aus dem Leben der Darsteller gezeigt. Ganz harmlos beginnt es mit unbelasteten Kindheitserinnerungen an Familie und Schule. Fließend gehen die Geschichten ineinander über, während die Schauspieler quasi ohne Bühnenbild nur mit einfachsten Hilfsmitteln ihre Rollen gestalten. Doch schnell erschüttern unvermutete Schicksalsschläge ihr Leben. Bombenanschläge, die Entscheidung zur Flucht, die Angst beim Grenzübertritt und das Verlorensein in einer fremden Welt. All das wird das pantomimisch und in der Mutterspruche der Schauspieler vorgeführt. Die Bilder aber sind so eindringlich, dass der Zuschauer sie unmittelbar versteht. Unterbrochen wird das Geschehen lediglich durch einige kurze Textrezitationen von Bertolt Brecht aus seiner Zeit im Exil. Vorgetragen von Alexander Jansen und Barbara Duss vom Mainfranken Theater regen sie zur Reflexion des Gesehenen an.
Jansen, Künstlerischer Betriebsdirektor des Theaters betreut das Projekt seit zwei Jahren und hebt dessen Bedeutung hervor. Der „Traum vom Leben“ sei ein Stück, das nach Zukunft klinge, sich aber mit der Vergangenheit beschäftige. Er erklärt die Schwierigkeit traumatisierte Menschen dafür zu gewinnen, sich auf der Bühne mit ihrem Leben zu beschäftigen. Gleichzeitig weist er darauf hin, was es für die Betroffenen bedeuten kann hier mitzuwirken. „Das Stück dient als Sprachrohr und Podium für ihre Lage. Es ist mehr als eine Theatergruppe“, betont Jansen. Viel Geduld war nötig, das Vertrauen von Menschen zu gewinnen, die sich ausgeschlossen und abgelehnt fühlen. Doch mit der Zeit berichteten sie von ihren Schicksalen und waren bereit auch öffentlich damit umzugehen.
Für die Inszenierung des Stückes erarbeitete Barbara Duss mit den Flüchtlingen aus der Improvisation heraus die einzelnen Szenenbilder.
Diese gelungene Inszenierung ist für die Betroffenen nur ein erster Schritt. Vielmehr gehe es darum, das Problem ins Bewusstsein zu rücken, dass diese Menschen isoliert leben und keine Chance haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Außerdem besteht die ständige Angst, wieder abgeschoben zu werden.
Im abschließenden Gespräch mit den Zuschauern äußerten sich die Teilnehmer selbst zu ihrer Lage und ihren Gefühlen. So sei es nicht leicht, Szenen zu nachzuspielen, die das eigene Schicksal vorführen. Zwar seien sie hier vorübergehend in Sicherheit, aber der Gedanken an die schlimme Situation in der Heimat lasse sie nicht los. Außerdem sei es schwer zu verstehen, wie bekanntes Unrecht etwa aus Diktaturen von der restlichen Welt kopfschüttelnd betrachtet aber zugelassen wird. Ausdrücklich bedankte sich ein Besucher dafür, dass die Schauspieler den Mut hatten, die Sprachlosigkeit zwischen ihnen und der Gesellschaft ihres Gastlandes zu durchbrechen. Er hoffe, dass dies ein Impuls sei für positive Reaktionen gegenüber den Flüchtlingen, und brachte damit offensichtlich die Meinung des gesamten Publikums zum Ausdruck.
Jan Weismantel