„Mit anderen Augen gesehen“: KHG-Themenabend über die Wahrnehmung des Christentums im Islam
Dass wir die Dinge aus unserer eigenen Perspektive betrachten und beurteilen, ist naheliegend und bequem, aber längst nicht immer die klügste Lösung. Was wir nicht kennen bleibt uns häufig fremd und unverständlich. Dabei kann es durchaus interessant und spannend sein einmal den Blickwinkel zu wechseln, über den Tellerrand hinauszusehen und damit auch die eigene Wirklichkeit besser zu verstehen. Dass dieser Ansatz gerade in Bezug auf Glaubensfragen von Bedeutung ist, bewies Theologe und Jesuit Dr. Tobias Specker beim Gesprächsabend in der KHG. Sein Vortrag „Mit anderen Augen gesehen“ vermittelte den Zuhörern einen Eindruck von der Wahrnehmung des Christentums im Islam und was dies für unsere Religion bedeuten kann.
Für einen Themenabend, der nicht nur zwei Kulturen sondern vor allem zwei Weltreligionen miteinander in Verbindung bringt, hatten die Verantwortlichen der KHG mit Tobias Specker den perfekten Referenten eingeladen. Der 40-jährige Niederrheiner hat Germanistik und Theologie studiert und war von 2007 bis 2010 als Islambeauftragter des Bischofs von Speyer tätig. Er arbeitete als Redakteur des Jesuiten-Magazins sowie an verschiedenen interreligiösen Projekten und hat Lehraufträge an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und der Universität Fribourg. Seit einem Jahr studiert Specker außerdem islamische Theologie in Frankfurt. „Über die Jahre bin ich viel gereist, um den Islam persönlich zu erleben. Vor allem die Türkei habe ich ausgiebig und oft besucht“, so Specker.
Zwar sei er ein christlicher Theologe, dennoch reize ihn der Perspektivwechsel zwischen den Religionen. Seiner Ansicht nach sollten die Muslime viel mehr mit Außenstehenden über ihren Glauben sprechen. Nach der ersten und zweiten Generationen der muslimischen Gesellschaft in Deutschland sei die Sprachbarriere langsam überwunden und eine Auseinandersetzung mit den Christen immer besser möglich. „Die spannende Frage als Christ dabei ist, wo wir Differenzen und wo Gemeinsamkeiten finden können“, betonte Specker. Zwischen dem Islam und dem Christentum besteht ein ganz besonderes Verhältnis. Das „Andere“ sei für die Christen immer der Islam gewesen. Beide Religionen verbindet die weltgeschichtliche Bedeutung über die Jahrtausende hinweg. Die übrigen Glaubensrichtungen dagegen seien kleiner und partikularer.
„Sowohl der Islam als auch das Christentum haben nicht nur den alleinigen Wahrheitsanspruch, sondern wollen grundsätzlich alle Menschen ansprechen und erreichen.“ Dort wo der jeweilige Glaube einmal Verbreitung fand, konnte er sich festsetzen. So zeigten sich Muslime und Christen gegenseitig im wahrsten Sinne des Wortes die Grenzen auf. „Meiner Ansicht nach wird sich dieser Zustand auch niemals ändern, denn es stehen sich in beiden Religionen Milliarden von Gläubigen gegenüber.“
Der Islam nimmt auf sein religiöses Gegenüber in vielfältiger Weise Bezug. Er kennt biblische Personen, spricht die Christen konkret im Koran an und übt an mancher Stelle auch heftige Kritik. So nimmt dieser Bezug auf christliche Propheten und das Evangelium, teilweise in Übereinstimmung und Bestätigung, oft aber auch richtigstellend. So ist Jesus als Prophet, nicht aber als Gott anerkannt. Auch seinem Tod am Kreuz widerspricht der Koran. Außerdem betont er die stetige Uneinigkeit zwischen Juden und Christen, lobt andererseits aber auch deren Barmherzigkeit und Märtyrertum.
Neben dieser Analyse des Korans zeigte Tobias Specker zusätzlich auf, wie interessant auch die heutige Umgehensweise moderner muslimischer Prediger mit dem Christentum ist. Während zum Teil auf die Notwendigkeit hingewiesen wird, Gemeinsamkeiten mit Juden und Christen herauszustellen und die Übereinstimmungen der Religionen betont wird, weisen andere Stimmen ganz deutlich auf die Differenzen und die Frage hin, wie mit diesen umzugehen sei.
„Wir Christen werden also zur Einheit mit den Juden ermahnt und auch eine gewisse Überheblichkeit wird uns angelastet“, resümierte Specker. Es sei wichtig, sich die Frage zu stellen, wie man mit einer Religion umgeht, die ihren Gott nach der Zeit Christi anerkennt. Man könne den Islam zwar außerchristlich als gleichwertig betrachten, dabei übersehe man jedoch, dass er bewusst Bezug auf das Christentum nimmt. „Vielleicht kann man den Koran aus unserer Perspektive auch ein wenig als Tradition des Christentums verstehen“, gab Specker seinen Zuhörern als Denkanstoß mit auf den Weg.
In der anschließenden Gesprächsrunde stellte sich die Frage, wie ein Dialog zwischen den Religionen heute ausgestaltet sein müsse. Der Versuch zu harmonisieren oder missionieren – so war man sich einig – sei der falsche Weg. Vielmehr müssen Differenzen anerkannt und geachtet werden, um Ziele und Werte gemeinsam zu erreichen. „Man muss wissen, wie der Andere sich in seiner Perspektive versteht“, schloss Tobias Specker. Das sei fruchtbarste Weg miteinander umzugehen.
Jan Weismantel